Es war einmal... Gänseblume...

  • 3 Nov 2023
  • Katrin Bamberg - Spinnradmärchen

Dass vierblättrige Kleeblätter Glücksbringer sind und obendrein Schutz bieten vor bösem Zauber, das weiß jedes Kind. Aber dass sie verhelfen, die kleinen Zwerge zu sehen, das erzähle ich euch jetzt:

Es gibt unzählige Geschichten über Menschen, denen auf einen Wagen Heu oder Grünfutter sitzend, während der Heimfahrt plötzlich die Augen aufgingen. Sie sahen die Wiesen, Wälder und Felder plötzlich bevölkert mit unzähligen kleinen Leuten; denn unter ihre Wagenladung Gras war ein vierblättriges Kleeblatt geraten.

Vor einiger Zeit lebte auf dem Bauernhof ein Bauer, der hatte eine wunderschöne weiße Kuh. Gänseblume hieß die Kuh, und sie hatte das ganze Jahr hindurch, von einem Kalb zum nächsten, ihr Euter voller Milch. Und diese Milch war die beste und fetteste weit und breit. Doch obwohl Gänseblumes Euter immer prall gefüllt war, gab sie doch nie mehr als fünf Liter Milch am Tag her. Mitten während des Melkens, wenn ihr Euter noch halb voll war, stellte Gänseblume ihre Ohren wie zum Horchen spitz nach vorn, muhte leise und hielt die Milch zurück. Und wer auch immer die Kuh melkte, musste dann unverrichteter Dinge und mit halb vollem Eimer abziehen. Eines Abends spät ging eine Magd, die auf dem Bauernhof aushalf, auf die Wiese, die Kühe zu melken. Sie trug den Milcheimer immer auf dem Kopf. Der Milcheimer aber hatte scharfe Kanten. Das Mädchen rupfte sich nach vollbrachter Arbeit einen Bund Gras ab, legte ihn auf den Kopf und stellte auf dieses Polster den schweren Milcheimer.

Als nun das Mädchen zum Weidezaun kam und beim Schließen des Gatters zurückschaute zur Kuh, da sah sie etwas ganz Merkwürdiges. 

Dämmrig war es inzwischen geworden. Die Stunde zwischen Tag und Nacht, doch gerade noch hell genug, um Gänseblume deutlich zu sehen. Die Kuh stand unbeweglich still auf der Wiese. Um sie herum schwärmten hunderte kleiner Männchen. Sie streichelten und kitzelten die Kuh, kraulten und liebkosten sie, und Gänseblume muhte sanft und zärtlich.

Ein Männlein schien ein wenig größer zu sein als die übrigen und lag auf dem Rücken unter der Kuh. Das Mädchen erkannte sofort, dass das ein Wichtelmännchen war, denn er hatte rotes Haar, das ihm in Büscheln vom Kopfe stand und hatte einen herrlich großen Mund. Er streckte die Beine in die Luft, gerade unter das Euter der Kuh und die anderen kletterten der Reihe nach an seinen Beinen hinauf und melkten sich, auf den Zehenspitzen stehend, Gänseblumes Milch direkt in ihre Münder.

Das Mädchen stand verwundert am Zaun und schaute den Kleinen zu. Als es dann dunkel wurde, lief sie endlich zum Hof zurück.

Die Bäuerin herrschte das Mädchen an: „Wo treibst du dich so lange herum? Ich warte hier schon lange und mittlerweile ist es dunkel!“ Da erzählte das Mädchen mit großen Augen ihr Erlebnis.

„Papperlapapp“, sagte die Frau und „das glaube ich dir nicht!“

Sie nahm dem Mädchen aber das Bündel Gras vom Kopf und zupfte es beim Licht der Stalllaterne auseinander und da, unter Gräsern, Kräutern und Blumen, fand sie ein vierblättriges Kleeblatt. Das überzeugte die Bäuerin zwar, aber sie beließ es nicht dabei, sie lief hinaus in den Wald zu einer weisen Kräuterfrau. Dort holte sie sich Rat. Sie war nämlich eine geizige Hausfrau und wollte die Milch nicht mit den Wichtelmännern teilen. Die Kräuterfrau warnte sie. „Ich weiß wohl ein Mittel, dass das ganze kleine Volk vergrault. Es ist ein Absud aus Salz und Fisch. Diesen Geruch können sie nicht leiden. Ich fände es aber sehr unklug, die Wichtelmännlein zu vertreiben. Sie haben euch Glück gebracht und euer Vieh gedeihen lassen.“

Aber die Bauersfrau kochte trotzdem einen Brei aus Stockfisch, Hering und Salz und rieb Gänseblumes Euter damit ein. Ja, das Mittel wirkte. Das kleine Volk der Wichtelmänner floh vor dem Gestank. Gänseblume gab nun zwar ihre ganze Milch her, aber es war nicht ein Viertel von dem, was sie vorher hatte. Jeden Abend, wenn der Mond aufging, stand Gänseblume auf der Wiese und muhte jämmerlich nach ihren kleinen Freunden. 

Da sieht man, was Gier anrichtet.

Ob die kleinen Leute wohl eines Tages zurückkehren? Ich halte Ausschau nach ihnen und wenn sie mir begegnen, dann schicke ich sie zu Gänseblume. Denn warten ist schwer. Das weißt du ganz sicher.

(Nach einem englischen Märchen, Erzählfassung: Katrin Bamberg)

 

Herzliche Grüße 

Katrin Bamberg

 

Öffentliche Erzähltermine:

Dienstag 07.11.2023 19 Uhr Theater Marotte KA Mit den Augen der Liebe

Freitag 10.11.2023 19 Uhr Kirche Sand Geschichten unterm Kirchendach

Samstag 25.11.2023 16 Uhr Schauenburg Oberkirch Winterzauber

Samstag 02.12.2023 16 Uhr Bad Peterstal Adventsmarkt

Sonntag 03.12.2023 15 Uhr Theater der 2 Ufer Wintermärchen

Samstag 09.12.2023 16 Uhr Schauenburg Oberkirch Winterzauber

Sonntag 17.12.2023 15 Uhr Theater der 2 Ufer Wintermärchen

Mittwoch 17.01.2024 20 Uhr Reithalle Offenburg Märchen für Erwachsene

Katrin Bamberg - Spinnradmärchen

Kommen Sie mit auf eine Reise ins Reich der Kobolde und Prinzen, in die Welt der Waschweiber und zornigen Riesen, an knisternde Indianerfeuer, in die Wälder der Drachen und ihrer Bezwinger. Hören Sie schon das Quietschen alter Türen oder das frohlockende Zirpen des Zaubervogels? Riechen Sie Zauberkräuter, die frische Brise an einem entlegenen See, den weihnachtlichen Duft nach Äpfeln und Zimt in gemütlichen Stuben? Ich entführe Sie in die Welt der Märchen. Die Fäden alter, längst vergessener Geschichten spinne ich neu, und bekannten Sagen und Erzählungen verleihe ich zu neuem, noch ganz unbekanntem Glanz. Das sich unablässig drehende Spinnrad spinnt einen schier nicht enden wollenden Geschichtenstrang. Märchen , Sagen , Geschichten erzählt man sich überall Ideale Orte und Gelegenheiten für Geschichten : Kindergärten Kliniken Geburtstage Schulen Altenheime Hochzeiten